Nachlese 2024

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Bilder und Impressionen finden Sie in unserem Archiv.

Abschlussbericht von Herrn Paul O. Krick, Saarbrücker Zeitung:

Homburg. Wie schon die ganze Festivalwoche zuvor, so boten auch die beiden letzten Konzerte der Internationalen Kammermusiktage in Homburg glanzvolle, musikalische Höhepunkte.Mit dem 1942 von den Nazis umgebrachten Komponisten Erwin Schulhoff und seinem Duo für Violine und Cello (1925) zog letzten Mittwoch etwas saarländische Musikgeschichte in die Konzertreihe ein.

Schulhoff leitete 1921/22 eine fortgeschrittene Klavierklasse am Bornscheinschen Konservatorium, das in Saarbrücken zu den Vorläufern der nachmaligen Musikhochschule zählt. Doch seine Tagebuchnotiz „Schülermaterial Scheiße“ verrät, dass er hier nicht gerade glücklich war und deswegen bald wieder in seine Vaterstadt Prag enteilte. Dort entstand drei Jahre später das Duo für Violine und Cello, von Tim Vogler (Violine) und Jan Ickert bravourös gestaltet. Ihre Interpretation verriet im Kopfsatz „Moderato“ und im wunderschönen „Andantino“ Schulhoffs Nähe zur spätromantischen Melodik im Übergang zum Expressionismus, in der „Zingaresca“ seine Faszination über die Musik der Roma und im ungestümen, doppelgriffreichen „Presto fanatico“ des Finalsatzes gar seine Hinwendung zum Umsturz in der Musik bis zum Dadaismus. Riesiger Applaus und viele Herausrufe dankten es dem großartig aufspielendem Duo.

Ähnlich gefeiert wurden eingangs Frank Reinecke (Violine), Stefan Fehland (Viola), Jan Ickert (Cello) und Matthias Kirschnereit (Klavier) nach ihrer Wiedergabe des Klavierquartetts Es-Dur op. 16 von Ludwig van Beethoven. Mozart schien Beethoven bei der Entstehung 1801 noch über die Schulter zu schauen, wie auch den vier Interpreten im Saalbau.

Zum Ausklang widmeten sich das Vogler Quartett und die zusätzliche Bratschistin Öykü Canpolat im herrlichen Quintett F-Dur des „Gottesmusikanten“ Anton Bruckner zu dessen 200- jährigem Jubiläum ganz der religiösen, in vielen Vorhaltharmonien oft gebetsartigen Grundstimmung des ersten und des langsamen dritten Satzes. Aber auch die tänzerische Folklore aus Bruckners österreichischer Heimat im „Scherzo“ und die Lebhaftigkeit des Finales quittierte das Publikum mit begeisterten Zurufen viel Applaus.

Diese Begeisterung schien sich im Abschlusskonzert auf die vielen Gäste zu übertragen, die den Saalbau fast bis zum letzten Stuhl besetzt hatten. Darunter auch der kleine Miras von der Bexbacher Grundschule, den beim Besuch des Vogler Quartetts letzten Freitag vor allem das große Cello von Stephan Forck faszinierte, wie er uns verriet. Daher hatte er seine ganze, aus Syrien stammende Familie gleich mitgebracht und ist wild entschlossen, auch so ein „Kniegeiger“ zu werden.

Wie alle, so war auch er und seine Lieben in Homburg begeistert von der Nocturne cis-Moll und noch mehr von Frédéric Chopins Scherzo b-Moll, die Matthias Kirschnereit dem Flügel entlockte. Nicht zuletzt vom glitzernden „Jeu perlé“ im frühen Klavierkonzert A-Dur KV 414 von Wolfgang Amadeus Mozart. Nach der böhmischen Tanz- und Melodienseligkeit im abschließenden Sextett A-Dur op. 48 von Antonin Dvorak wollte der stehende Beifall für das Vogler Quartett und für die ebenso mitreißend aufspielenden Gäste Öykü Canpolat und Jan Ickert kein Ende nehmen.

Nach vielen Vorhängen und Dankesworten vertrösteten Tim Vogler vom federführende Quartett und Dr. Gudula Zimper von den Homburger Kammermusikfreunden den kleinen Miras aus Bexbach und alle Mitapplaudierenden auf eine Neuauflage der Kammermusiktage im nächsten Jahr.

Paul O. Krick

 

Zwischenbericht von Herrn Paul O. Krick, Saarbrücker Zeitung:

 

Homburg. (ic) Im vierten Konzert der Internationalen Kammermusiktage letzten Montag lüftete sich im Homburger Saalbau endlich das Geheimnis um das Festivalmotto „Le boeuf sur le toit“. In einer bunten, ausgelassenen Multimedia-Show entfesselte auch besagter „Ochse auf dem Dach“ im gleichnamigen Rondo von Darius Milhaud wahre Beifallsstürme.

Die gab es aber auch schon an den Konzertabenden zuvor mit dem Vogler Quartett oder mit der Geigerin Sophia Jaffé aus Berlin und der Pianistin Nami Ejiri aus Tokio als unvergleichlich virtuos aufspielendes Violin-Klavier-Duo. Über ihre Ersttauftritte im Eröffnungskonzert berichtete bereits unser Feuilleton. Das Duo gestaltete den ganzen Samstagabend, mal gesanglich, mal virtuos u. a. mit den „Fünf Melodien“ op. 35a von Sergej Prokofjew oder mit „Le baiser de la fée“ von Igor Strawinsky und entführte sein gebannt lauschendes Publikum in den nur hin gehauchten „Vertical thoughts II“ von Morton Feldmann jenseits aller Grenzen üblicher Hörgewohnheiten. Nach der technisch so brillant wie leidenschaftlich gestalteten „Kreutzer-Sonate“ von Ludwig van Beethoven schien die Begeisterung auszurasten, und das Duo wurde erst nach einem kleinen Nachkonzert entlassen.

Solche Zustimmung hatte sich auch das Vogler Quartett am Sonntagabend verdient, mit seiner Gratwanderung zwischen Spätromantik und freier Tonalität durch die engmaschige Textur des Streichquartetts op. 3 von Alban Berg, vor allem mit der heiter gelösten Wiedergabe von Giuseppe Verdis Quartett- Unikat. Tim Vogler (Primarius), Frank Reinecke (2. Violine), Stefan Fehland (Viola) und Stephan Forck (Cello) entkräfteten die Selbstzweifel des großen Opernkomponisten an seinem Gelegenheitswerk mit Charme und heiterer Gelöstheit vor allem in den pfiffig hin getupften Staccati des finalen Fugen-Scherzos.

Im genialisch anmutenden Konzert für Klavier, Violine und Streichquartett D-Dur op. 21 von Ernest Chausson fanden die beiden Spitzenensembles wieder zueinander. Unglaublich, mit welcher Brillanz das Duo in flirrenden Läufen über Tasten und Saiten jagte, zwischen dröhnender Düsternis im Kopfsatz „Décidée“ und tänzerischer Gelöstheit im Finalsatz „Très animé“. In den zuweilen ekstatischen Klangrausch brachten sich die Quartettspieler immer wieder ein, so auch zum schwermütigen Dialog zwischen dem Cello von Stephan Forck und der Solovioline von Sophia Jaffé im dritten Satz „Grave“. Brausender Beifall belohnte die Gipfelleistung der sechs Ausführenden.

Dann der Montagabend im fast voll besetzten Saalbau. Mit dem Perkussionisten Christian Benning und dem Arcis Saxophon Quartett erstrahlte das Festival in neuen Klangfarben, so in den 1935 entstandenen Maskeraden des „Petit Quatuor pour saxophones“ von Jean Francaix oder in den schmachtenden Filmmusiksentenzen von Georges Auric zu „Lieben Sie Brahms“. Claus Hierluksch am Sopransaxophon, Ricarda Fuss mit dem Alt-, Anne-Marie Schäfer mit dem Tenor- sowie Jure Knez am Baritonsaxophan gelang die musikalische Balance zwischen der 3. Sinfonie von Johannes Brahms und ihren Umdeutungen ins Jazz-Genre perfekt. Christian Benning sorgte dezent für den rhythmischen Background. Solche subtilen Momente hätte man sich von ihm bei allem Drum-Set-Getöse auch in „Le Train“ von Dante Agostini gewünscht, wenn zur Filmprojektion eines fahrenden Zuges auch mal ruhige Landschaften eingeblendet wurden.

„Le boeuf sur le toit“ ist der Titel eines von brasilianischer Folklore und frühem Jazz beeinflussten Stücks, zu dem Darius Milhaud angeregt wurde, als er in diplomatischem Dienst in Rio weilte. Ursprünglich zur Begleitung eines Stummfilms mit Charlie Chaplin gedacht, erfuhr es später unzählige Bearbeitungen und Instrumentierungen.

Anders als der farbenfrohe Bühnen-Entwurf von Raoul Dufy zum Milhaud- Ballett „Le boeuf sur le toit“ (Er wird als Chromolithographie und Festival-Logo übrigens meistbietend versteigert) passte der vom Saxophon Quartett ausgewählte Chaplin-Film „Ein Uhr nachts“ kaum zur Klangsprache von Milhauds „Le boeuf sur le toit“. Das Publikum scherte es wenig und feierte zu Recht die engagierten Leistungen von Schlagzeuger und Quartett mit lautstarkem Applaus; wohl auch in Vorfreude auf den Mittwochabend mit Beethoven, Schulhof und Jubilar Bruckner oder auf den Donnerstagmorgen (11 Uhr), wenn sich das Vogler Quartett mit wiederum neuen Solisten in Werken von Dvorak, Chopin und Mozart verabschiedet.

Paul O. Krick